Entwicklung von Präsenz und Überzeugungskraft
Ein selbstbewusstes Auftreten ist eine Fähigkeit, deren Bedeutung in Studium und Berufsleben wohl niemand in Frage stellen würde. Nicht nur bei Präsentationen, auch im Kundengespräch, der Fachdiskussion oder der Besprechung der Seminar-Arbeit hilft ein sicherer rhetorischer Ausdruck.
Ich möchte in diesem Artikel den Fokus darauf legen, die Ebene der Performance, also des stimm-sprecherischen und körpersprachlichen Auftretens, mit der Ebene der Haltung zu verknüpfen, zu der die innere Einstellung, die eigenen Werte und die situative emotionale Verfassung gehören. Meines Erachtens lassen sich diese Bereiche nicht voneinander trennen, so dass ein rein übungs- und verhaltensorientiertes Arbeiten am persönlichen Auftritt nicht zu einem langfristigen und nachhaltigen Erfolg führt.
Fake it ´til you make it
Dennoch hat das Sprichwort „Fake it, until you make it“ eine Berechtigung: Durch das Trainieren von selbstbewusst wirkendem Verhalten wie einem stabilen Stand und einer ruhigen, gleichmäßigen Atmung, lassen sich Rückkopplungseffekte in Richtung mehr innere Sicherheit erreichen. Echte Präsenz und Überzeugungskraft haben aber immer etwas mit einem Verhalten zu tun, das zugleich authentisch, und der jeweiligen Situation und Rolle angemessen ist. Dadurch entsteht ein Zustand, den Friedemann Schulz von Thun Stimmigkeit nennt. Der Weg hin zu Stimmigkeit ist ein Prozess, in dem ein permanenter Abgleich passiert zwischen meiner empfundenen Authentizität und der selektiven Authentizität, die die jeweilige Situation oder Rolle verlangt. Wenn ich beispielsweise zum Vorstellungsgespräch für einen Praktikumsplatz eingeladen bin, werde ich mich anders kleiden als im Alltag, werde weniger umgangssprachlich sprechen als mit meinem Freundeskreis und mich inhaltlich vor allem zu meinen fachlichen Interessen äußern. Und ich werde versuchen, die anderen von mir zu überzeugen.
Wenn mich Seminarteilnehmer:innen fragen, was denn nun eigentlich Überzeugungskraft ausmache, nenne ich folgende vier Faktoren:
- Sachkenntnis– wie gut weiß ich, wovon ich rede?
- Innere Einstellung– wie sehr stehe ich hinter dem, was ich sage?
- Hörerbezug– wie gut kenne ich mein Gegenüber und gehe darauf ein?
- Ausdrucksvermögen– wie klar und eindeutig kann ich die ersten drei Aspekte durch mein Auftreten vermitteln.
Körper – Stimme – Sprache
Ich will mit der Rangfolge dieser Faktoren auch dem in vielen Trainingskreisen mantramäßig wiederholten Satz widersprechen, es komme nicht darauf an, was man sage, sondern wie man es sage. Seit Jahren kursieren die auf zwei Studien von Albert Mehrabian aus dem Jahr 1967 zurückzuführenden Zahlen, nach denen die kommunikative Wirkung eines Menschen zu 55% von der Körpersprache, zu 38% von Stimme und Sprechweise und nur zu 7% vom Inhalt abhänge. Das ist – mit Verlaub – Unsinn und zum Leidwesen des Urhebers eine zur Falschheit vereinfachte Schlussfolgerung aus den tatsächlichen Ergebnissen der Untersuchung. Mehrabian ging es um die Frage nach dem Umgang mit Inkongruenzen, das sind unterschiedliche, sich womöglich wiedersprechende Botschaften auf den drei Ausdrucksebenen Körper– Stimme– Sprache. im Ergebnis zeigte sich, und selbst das ist noch vereinfachend formuliert, dass sich Menschen bei inkongruenten Botschaften stärker an den eher unbewusst zum Ausdruck gebrachten stimmlichen und körpersprachlichen Signalen orientieren als am formulierten Inhalt. Es geht also um Kongruenz, um Übereinstimmung der Wirkungsebenen und nicht um allgemeine Wirkung oder gar Überzeugungskraft! Die falsche Auslegung der Zahlen führt zu einer Performance-Kultur, in der Erscheinung alles ist und der Inhalt zweitrangig. Auftrittskompetenz heißt für mich hingegen, auf der Grundlage von substanziellem Wissen, echtem Anliegen und aufrichtigem Mitteilungswillen sich stimmlich, sprecherisch und körpersprachlich so auszudrücken, dass das vom Gegenüber als Präsenz erlebt wird: Eine Haltung, die vermittelt, dass ich genau diese Inhalte, genau in diesem Moment und an genau dieser Stelle mit genau diesem Publikum teilen möchte. Fokus statt Beliebigkeit, bewirken statt nur wirken wollen.
Aber klar: ein fehlendes Ausdrucksvermögen, Schüchternheit oder Zurückhaltung, Monotonie im Sprechen oder Hastigkeit und Undeutlichkeit verhindern Wirksamkeit und Überzeugungskraft, obwohl jemand möglicherweise sehr viel zu sagen hat! Insofern ist es absolut sinnvoll, Bewusstheit über das eigene Ausdruckvermögen zu erlangen und an dieser Kompetenz zu arbeiten, denn:
Dichter:innen werden geboren, Redner:innen werden gemacht!
Was braucht es also, um das eigene rhetorische Auftreten, vor allem in Hinblick auf Sprechweise und Körpersprache zu entwickeln? Zuallererst: Bewusste Wahrnehmung. Ich möchte das am Blickkontakt verdeutlichen. Als „Berührung auf Distanz“ ist der Blickkontakt ein wesentliches Kontaktsteuerungsinstrument. Selber entscheiden zu können, ob, wie und wie intensiv ich Blickkontakt halte, hat viel mit innerer und äußerer Souveränität zu tun. Wenn ich lernen will, mein Verhalten zu steuern, muss ich mitbekommen, was ich tue und gegebenenfalls besser machen könnte. Im Kompetenzstufenmodell von Noel Burch ist das der Schritt von der ersten Stufe „Unbewusste Inkompetenz“ zur zweiten Stufe „Bewusste Inkompetenz“. Diesen Schritt machen wir meistens, indem wir von Anderen Feedback bekommen. Die Fremdwahrnehmung offenbart uns blinde Flecken im Verhalten. Zwar ist es erst einmal nicht so angenehm, mitzubekommen, dass ich etwa wenig Blickkontakt zu meinem Publikum habe, denn oft lässt sich das nicht sofort ändern. Aber ich kann überlegen, womit das zu tun hat und dann anfangen, meinen Blickkontakt bewusster zu steuern. Und damit bin ich schon auf Stufe drei, der „Bewussten Kompetenz“. Das bewusste Anschauen meines Gegenübers ist jetzt zum intentionalen Handeln geworden und ich kann beispielsweise einen Appell durch einen klaren und eindringlichen Blickkontakt unterstreichen. Nun beginnt die sehr unterschiedlich lange Phase der Automatisierung, bis ich irgendwann die vierte Stufe der „Unbewussten Kompetenz“ erreicht habe, also quasi zur „Könnerin“ geworden bin. Um dahin zu kommen, braucht es allerdings viel Übung und die Bereitschaft, mich immer wieder herausfordernden Situationen zu stellen.
Alltag als Übungswiese
Zunächst kann ich damit anfangen, alle möglichen Gelegenheiten im Alltag zu nutzen, in denen sich der Blickkontakt üben lässt, ob das in der Bahn oder in einem alltäglichen Verkaufsgespräch ist. Was passiert, wenn ich versuche, den Blickkontakt zu halten? Gibt es in mir ein Bedürfnis, den Blick nach kurzem Hinschauen wieder zu entziehen? Entsteht in mir körperliche oder emotionale Anspannung, wenn ich versuche, einem Blick standzuhalten? Möglicherweise habe ich dann ein Problem mit „Gesehen werden“ und ich erlebe den Blick der anderen schnell als bewertend oder sogar verurteilend. Es ist sinnvoll, dem auf die Spur zu gehen, sich gegebenenfalls in einem Coaching Unterstützung zu holen.
Für Präsentationen ist es wichtig zu üben, den Blick nach draußen zu richten, während ich gleichzeitig mit dem inneren Auge meine Inhalte abrufe und formuliere. So trainiere ich darüber hinaus das sogenannte Sprechdenken, die Fähigkeit, den Prozess des Denkens und den des Sprechens absolut parallel zu schalten. Dadurch verbessert sich auch die sprachliche Spontaneität und Formulierungsflüssigkeit.
Hilfreich ist auch ein umfangreicher aktiver Wortschatz. In den meisten von uns schlummert ein immens großer passiver Wortschatz, zehntausende von Wörtern, die wir zwar verstehen, aber nicht aktiv beim Sprechen nutzen. Je größer mein aktiver Wortschatz, umso flexibler ist mein sprachlicher Ausdruck, umso leichter kommen mir die Worte, umso flüssiger wird mein Sprechen.
Praktisches üben wichtig
Aber wie gesagt: hier ist praktisches Üben unumgänglich, am besten, indem ich hin und wieder aus einer Reihe von Themenkarten eine ziehe und zwei bis drei Minuten dazu frei formuliere. Auch in Vorbereitung auf Präsentationen ist es sinnvoll, sich mehr und mehr vom vorbereiteten Text zu lösen und mit Blick nach vorne auf ein imaginäres Publikum sich freizuschwimmen vom Rettungsring des Manuskripts. Wenn ich dann noch mein Handy mitlaufen lasse, im Falle des Blickkontakts am besten mit Video, kann ich hinterher mein inneres Erleben mit meiner Außenwahrnehmung abgleichen und damit die Verbindung zwischen innerer Haltung und äußerer Erscheinung weiter stärken.
Als nächstes nehme ich mir kalkulierte Risiken vor, also Situationen, die zwar herausfordernd sind, auf die ich mich aber gut vorbereiten kann oder in denen es um nicht so viel geht wie bei der Verteidigung der Doktorarbeit, also beispielsweise eine Gruppenpräsentation in einem Seminar mit nicht allzu vielen Teilnehmer:innen.
Schön, wenn die Heimat-Universität einen Debattierclub hat, bei dessen Treffen sich das rhetorische Auftreten immer wieder trainieren lässt. Außerdem empfehle ich allen Studierenden, regen Gebrauch von den Weiterbildungsangeboten an ihrer Hochschule zu machen, in denen sich unter fachkundiger Anleitung das eigene Auftreten und persönliche Profil schärfen lassen. Solche Seminare kosten später im Berufsleben eine Stange Geld– ein Fehler, diese Chance nicht zu nutzen!
Denn in solchen Seminaren besteht immer wieder die Möglichkeit, Feedback einzuholen, die innere Wahrnehmung mit dem Außeneindruck abzugleichen und Lernfortschritte von anderen bestätigt zu bekommen. Viele von uns tragen lautstarke innere Kritiker mit sich rum, die verhindern, dass wir unsere Stärken genau so wahrnehmen wie unsere Schwächen und damit ein realistisches Selbstbild verhindern. Wir brauchen den Blick von außen eben nicht nur für Kritik, sondern auch für Anerkennung, die wir uns selbst oft versagen.
Fazit
Selbstbewusstes Auftreten entsteht aus einem wechselseitigen Prozess zwischen wohlwollender Selbstanalyse und Übung. Durch das langsame Steigern der Herausforderung entwickelt sich eine zunehmende unbewusste Kompetenz. Diesen Prozess muss man nicht alleine schaffen, es ist sinnvoll, sich Unterstützung zu holen.