So kommen Umwelt und Klima in die Apotheker-Ausbildung
Das Thema Nachhaltigkeit haben bisher nur wenige Dozierende auf dem Radar. Dabei bieten die Themen eine Chance für die Pharmazie und aktivieren die Lehre für Studierende. Doch wer die pharmazeutische Lehre verändern möchte, stößt schnell auf Widerstand. Das Staatsexamen beruht auf der Approbationsordnung für Apotheker:innen. Diese zu verändern, ist ein zäher, politischer Prozess. Trotzdem gibt es erste Ideen.
Klar ist: Die Klimakrise betrifft uns alle. Klar ist auch: Das Pharmaziestudium ist übervoll. Auch wenn viele Studierende fordern, Aspekte der Nachhaltigkeit im Studium einzuflechten: Wie genau das funktionieren kann, ist noch unklar.
Im Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP) setzen sich rund 100 Apothekerinnen und Apotheker kritisch mit der Arzneimittelversorgung auseinander. Ihre Ziele: Marktmacht der pharmazeutischen Industrie bekämpfen, Zusammenhalt aller Akteure im Gesundheitswesen stärken, allen Menschen weltweit den Zugang zu einer ausreichenden Arzneimittelversorgung ermöglichen.
Auch im Kampf gegen die Klimakrise setzt sich der VdPP ein und gründete die Pharmacists for Future. Im Juni 2021 organisierte der VdPP eine Fachtagung zur Klimakrise und der Rolle der Pharmazie. Auf der Tagung veranstaltete der VdPP verschiedene Workshops. Einer davon beschäftigte sich mit der nachhaltigen Lehre im Pharmaziestudium.
Workshop setzt Ideen frei
Leiter des Workshops war Patrick Neumann, damals noch Beauftragter für Public Health beim Bundesverband der Pharmaziestudierenden in Deutschland (BPhD). Neumann fasst die Lage an den Hochschulen zusammen: Viel hängt von Professor:innen ab. Ein Nachteil sei, dass umweltrelevante Aspekte nicht in der Approbationsordnung für Apotheker:innen stehen. Und was nicht drin steht, wird wenig gelehrt. Im Herbst 2020 schlug der BPhD in einem Positionspapier vor, dass Umwelt- und Wasseranalytik im Rahmen der Anorganischen Chemie zum Thema mit Anwendungsbezug werden könnte.
Aber auch ohne die Approbationsordnung anzupassen, können umweltrelevante Themen in die Lehre einfließen. Dazu entwickelten die Teilnehmer:innen des Workshops im Juni 2021 einige Ideen. Einen Impuls gibt etwa die Website 2slides4future.com. Die Idee dahinter ist, jedem Vortrag zwei Folien zur Klimakrise zu widmen. Auch könnten Studierende einen Pool von Powerpoint-Folien zusammenstellen, die klimarelevante Aspekte aus dem Pharmaziestudium aufgreifen. Diesen Pool könnte man für alle Dozentinnen und Dozenten der Fakultät – oder sogar aller Pharmazie-Fakultäten bundesweit – öffnen. Diese könnten zu ihrem Vorlesungsthema ohne großen Eigenaufwand passende Folien auswählen.
Spezialvorlesung „Nachhaltige Pharmazie“ in Freiburg hat Erfolg
An der Universität Freiburg forscht Professor Michael Müller gemeinsam mit Karina Witte an biokatalytischen Methoden und damit auf einem Gebiet, in dem es auch um die Belastung von Arzneimitteln in der Umwelt geht. Auf Initiative der Apothekerin und Diplom-Pharmazeutin Witte nutzten sie eine rotierende Spezialvorlesung an der Universität Freiburg und integrierten Nachhaltigkeit im pharmazeutischen Sinne in die Lehre. Im Wintersemester 2020/2021 stellten sie die Vorlesungsreihe „Nachhaltige Pharmazie“ auf die Beine – zumindest temporär. Denn im darauffolgenden Semester ging die Spezialvorlesung an ein anderes Forschungsgebiet über.
Insgesamt besuchten rund 70 Studierende regelmäßig die Vorlesung. Die Hälfte der Teilnehmer:innen studierten Pharmazie (Staatsexamen) oder pharmazeutische Wissenschaften. Zudem nahmen Studierende der Chemie, Liberal Arts and Sciences und Sustainable Materials an der Vorlesung aktiv teil. Wöchentlich diskutierten Lehrende und Studierende 45 Minuten lang Nachhaltigkeit auf allen Lebensetappen von Arzneimitteln – von der Entwicklung über die Anwendung bis hin zur Entsorgung. Sie beleuchteten die Auswirkungen der Klimakrise auf die Gesundheit wie auch ökonomische und soziale Implikationen.
Vor den Seminaren bereiteten sich die Teilnehmer:innen mit Texten und Studien vor, auch Videos wie ein TED-Talk oder vertonte Powerpoint-Präsentationen boten Witte und Müller an. Die Veranstaltung selbst startete mit einer kurzen Kleingruppenarbeit, in der Studierende ihre Meinungen zu den Vorbereitungsthemen austauschen konnten. Anschließend erörterten alle zusammen im Diskurs Fragen, die sich beim Einarbeiten in die Thematik stellen.
Interview: Ans Ziel durch umsetzen und vernetzen
„Wenn wir uns etwa über Arzneimittelrückstände in der Natur und deren Auswirkungen Gedanken machen, stoßen wir ganz von selbst auf die sich daher ergebenden Probleme und mögliche Lösungen“, sagt Karina Witte der UniDAZ-Redaktion. Im Interview erklärt sie, warum Nachhaltigkeit auf den Lehrplan muss – und welche Freiräume die Zukunft dafür bieten könnte.
UniDAZ: Warum muss Nachhaltigkeit in die pharmazeutische Lehre?
Witte: Pharmazie ist die Lehre der Arzneimittel, die zur Heilung, Linderung oder Prävention von Krankheiten dienen. Unsere Fachrichtung sollte das nicht nur für einen kleinen Teil der Weltbevölkerung beachten, sondern für alle Menschen, sowohl heute als auch in Zukunft. Daher sollte auch der Nachhaltigkeitsgedanke in den Grundlagen des Studiums beachtet werden.
UniDAZ: Konntet Ihr am Lehrstuhl eine Lösung finden, Teile der Spezialvorlesung „Nachhaltige Pharmazie“ dauerhaft in die Lehre einzubringen?
Witte: Leider ist noch nicht ganz klar, wie wir den Nachhaltigkeitsgedanken langfristig im Studium einbringen können. Das Feedback der Studierenden hat uns bestätigt. Wir setzen uns dafür ein, zu schauen, wo wir dies langfristig im Pharmaziestudium verankern können.
UniDAZ: Welche konkreten Ansätze gibt es?
Witte: Beispielsweise wäre das Wahlpflichtpraktikum ein geeigneter Rahmen. Es ist das einzige Projekt im Pharmaziestudium, bei dem sich Studierende bewusst für ein Thema entscheiden. Ansonsten – und das weiß jede Pharmaziestudentin – gibt es nicht viele Freiheiten.
UniDAZ: Können Inhalte in die Seminare und Praktika einfließen?
Witte: In Freiburg werden wir nach Möglichkeit die Freiräume nutzen, die wir noch sehen: Zum Beispiel wäre ein Versuch zu Arzneimittelrückständen in der Umwelt im Praktikum „Quantitative Analytik“ gut einzubringen. Es macht nur Sinn, wenn wir diese Idee an andere Universitäten in Deutschland weitergeben.
UniDAZ: Warum?
Witte: Weil andere Fakultäten so aufbauend auf unseren Erkenntnissen einen ähnlichen Versuch einführen können, ohne alle Grundlagen selbst erarbeiten zu müssen. Auch europaweit gibt es schon viele solcher Projekte. Wir müssen den Austausch zwischen denjenigen fördern, die solche Projekte initiieren, damit wir das Thema gemeinsam voranbringen.
Grundsätzliche Veränderungen – oder nur „Greenwashing?“
UniDAZ: Sollte die Nachhaltigkeit als Querschnittsthema in jedes Fach eingebaut werden?
Witte: Ich bin mir nicht sicher, ob Studierende auf diese Weise die Grundlagen der Nachhaltigkeit lernen würden. Womöglich würden Aspekte im Studium aufgegriffen werden, die in unserer Gesellschaft ohnehin verankert sind und die von technischen Lösungen und einem Effizienzgedanken getrieben sind.
UniDAZ: Was ist dabei das Problem?
Witte: So kommen wir nicht zur Frage, ob wir grundsätzlich etwas ändern und uns in manchen Dingen mäßigen können – sondern laufen Gefahr, nur „Greenwashing“ zu betreiben.
UniDAZ: Also dürfte ein solches Fach nicht nur naturwissenschaftlicher Art sein?
Witte: Die Pharmazie ist meiner Meinung nach sowieso keine rein naturwissenschaftliche Disziplin. Hier geht es vielfach etwa um die Kommunikation mit Patient:innen und anderen Vertretern der Heilberufe. Viele Aspekte unserer Disziplin fallen mehr unter soziale als unter naturwissenschaftliche Aspekte. Wenn wir auf die Apotheken schauen, sehen wir, dass auch die Ökonomie einen enormen Anteil an unserem Beruf hat. Ein gutes Ziel wäre, die Interdisziplinarität der pharmazeutischen Praxis auch in die Lehre integrieren zu können.