Recht haben

Nach dem Studium der Pharmazie und der Doktorarbeit hat sich Dennis Effertz zunächst bei einem Abrechnungsdienstleister für gesetzliche Krankenkassen beworben. Schnell merkte er, Gesetze wälzen und in Vorschriften schmökern- das ist genau sein Ding. Nach zwei weiteren Universitätsabschlüssen in den Bereichen Recht und Wirtschaft ist er überzeugt: Der Blick über den pharmazeutischen Tellerrand hat sich gelohnt!

Pharmazie, Medizin, Rechtswissenschaft und Wirtschaftswissenschaft– mein Ausbildungs- und Berufsweg führte mich durch all diese Fachdisziplinen. Zu behaupten, dass dies von vorneherein so geplant war, würde mir eine Weitsicht andichten, die in jungen Jahren keineswegs vorhanden war. Vielmehr war es eine Reise, die in Etappenzielen auf Basis einer Mischung aus Neugier und Pragmatik angelegt wurde. Und vermutlich deshalb fügt sich in der Rückschau alles zu einem sinnvollen Gesamtbild zusammen. Doch beginnen wir vorne:

Zunächst war klar, dass ich nach dem Staatsexamen nichts mehr mit der Uni zu tun haben wollte. Promotion mit Aussicht auf drei bis fünf weitere Jahre Labor? Danke, aber nein danke! Doch was dann passierte, kennen vermutlich bereits viele Pharmazeuten im Praktikum aus eigener Erfahrung. Ärztliche Verschreibungen und/oder Empfehlungen, die obsolet sind (freundlich ausgedrückt) sind keine Seltenheit. Frisch von der Uni weiß man es (oft) besser und will nur das Beste für den Patienten. Doch dann kommt es: „Aber der Herr Doktor hat gesagt…“. Als ich diesen Satz zum dritten Mal gehört hatte, war dann Schluss. Bis zur Rente konnte das so nicht gehen. Die Promotion musste nun also doch her– Zeit für britische Politik à la balance of power, wie mein alter Geschichtslehrer gesagt hätte.

Grundlagenforschung passte allerdings noch immer nicht ins Konzept. Zufall und tolle Menschen– insbesondere mein Betreuer Prof. Dr. Sportwiss. Freerk Baumann und mein Doktorvater Prof. Dr. med. Bloch- ermöglichten mir dann die Betreuung einer Studie in der Sportonkologie. Den Einfluss von Bewegungstherapie auf Chemotherapie-bedingte Nebenwirkungen bei Darmkrebspatienten zu untersuchen passte perfekt. Ohnehin war ich immer ein Verfechter von „Bewegung vor Pille“. Im Hauptstudium wurde dies auch praktisch bei den Vorlesungen zu den Zivilisationserkrankungen einleitend in zwei Sätzen erwähnt, bevor es dann an die Wirkstoffe ging. Doch was genau sollte man denn empfehlen? Welche Sportart? Welche Intensität? Welcher Umfang? Mir kam dieser Aspekt der Gesundheitsberatung immer ein wenig zu kurz im Studium. Es sagt doch auch niemand zu einem Diabetiker bloß: „Nimm regelmäßig ein bisschen Metformin“. Zudem konnte ich in meinem Promotionsvorhaben in Bezug auf die Nebenwirkungen der Chemotherapie meine pharmazeutischen Kenntnisse einbringen, eng mit den Patienten zusammenarbeiten und gleichzeitig die ärztliche Versorgungsrealität besser kennenlernen. Das Ganze war auch noch berufsbegleitend durchführbar (Teilzeit), so dass ich die Apothekenpraxis nicht aus den Augen verlieren würde– Match!

Was dann kam, war das Leben. Promoviert wurde ich letztlich als ich bereits in der Nähe meiner neuen Wahlheimat (Freiburg) angestellt war. Aufgrund einer interessanten Stellenausschreibung hatte ich eine Stelle als Teamleitung in der Arzneimittelabrechnungsprüfung bei einem Dienstleister für die Gesetzlichen Krankenkassen angetreten. Hier passte ich hervorragend hin, denn während andere Kolleginnen in der Apotheke stets über Vorschriften aus Gesetzen und Verträgen mutmaßten oder „überliefertes“ Wissen als angeblich hieb- und stichfest vermittelten, so schaute ich selbst lieber in die aktuell gültigen Regelwerke. Dass mein späterer (zweiter) Doktorvater – Juraprofessor Dr. Bern-Rüdiger Kern- dieses Vorgehen als „ein Blick ins Gesetz, erspart viel Geschwätz“ bezeichnen würde, war mir zu diesem Zeitpunkt nicht klar. Gleichwohl führte diese niedrige Hemmschwelle in Bezug auf die §§ in Verbindung mit täglichen „Retax-Streitigkeiten“ mit den Apotheken und vermeintlich widersinnigen Regelungen zu dem Punkt, an dem ich echte juristische Kompetenzen aufbauen wollte. Es galt die (vermeintlichen) Widersprüche zwischen pharmazeutischer Versorgung und den (sozial-)rechtlichen Vorgaben im Apothekenalltag zu lösen. Denn mein Anspruch war und ist es stets zu vermitteln. Die Narrative der „bösen Krankenkassen“ oder der „dunklen Seite der Macht“ gegenüber den Leistungserbringern als kollektive „Betrüger“ und „Gewinn-Maximierer“ waren mir schon immer ein Dorn im Auge. Doch begünstigten die steten Streitigkeiten diese Vorstellungen, obwohl sie zumeist aus der Unkenntnis von Sinn und Zweck sowie Zusammenspiel der einschlägigen Normen erwachsen.

Ein Master in Medizinrecht öffnete mir dann, abermals berufsbegleitend, diese Tür zum systematischen Verständnis unseres Gesundheitswesens. Denn unser überwiegend solidarisch geprägtes System wird nun mal durch Gesetzgeber und Selbstverwaltung gestaltet. Beinahe täglich justieren die Beteiligten das Versorgungssystem und versuchen oftmals widerstrebende Interessen bestmöglich in Bezug auf Qualität und Wirtschaftlichkeit auszutarieren. An dieser Stelle kommen dann insbesondere in der Gesetzlichen Krankenversicherung noch ökonomische Aspekte hinzu, die allerdings trotz eines Masterstudiums in Health Business Administration nicht die Leidenschaft in mir Wecken konnten, wie es die Rechtswissenschaft tat und bis heute tut. Denn es ist das methodische und systematische Denken, was auch den Gesundheitsberufen „an der Basis“ helfen würde, sich optimal im Gesundheitssystem zu bewegen und ihr Bestes für die Patienten zu geben. Denn optimal bedeutet in einer Solidargemeinschaft eben nicht die bestmögliche Versorgung oder der höchste erzielbare Gewinn, sondern der effizienteste Einsatz begrenzter Mittel unter Berücksichtigung des Patientenschutzes. Umgekehrt ist nicht gegen jede kassenseitig erkannte „Leistungsausweitung“ vorzugehen. Viele (ökonomische) Anreize werden vom Gesetzgeber bewusst gesetzt, um entweder die Versorgung der Patienten zu verbessern oder Berufsbilder weiterzuentwickeln oder attraktiver zu machen.

Wer also wissen will, was denen „da oben einfällt“ oder wer diese „sinnlosen Regelungen“ verhandelt und festlegt und warum, den ermutige ich ausdrücklich über den Tellerrand der eigenen Fachdisziplin hinauszublicken. Sicherlich muss man die hierzu notwendigen Kompetenzen nicht durch Studiengänge aufbauen, doch ist dies aus meiner Sicht ein lohnender Aufwand, um einen interdisziplinären „Methodenkasten“ zu erwerben. Von einem solchen profitiere ich als Führungskraft in unterschiedlichen Positionen und Leistungsbereichen des Gesundheitswesens sowie als (Rechts-)Wissenschaftler und Lehrender noch immer täglich. Dieses Wissen versuche ich zudem über mein Projekt www.juspharmaka.de insbesondere an Pharmazeuten zu vermitteln.

Ob das alles noch pharmazeutisch ist? Ein Blick ins Gesetz erspart viel Geschwätz! (vgl. § 2 Abs. 3 Bundesapothekerordnung).

Dennis Effertz

Dr. Dennis A. Effertz ist Apotheker, Medizinwissenschaftler (Dr. rer. medic.) Jurist (LL.M., Medizinrecht) und Ökonom (MHBA). Er hat inzwischen in der Forschung, in Apotheken, für die Pharmaindustrie und aufseiten der Krankenkassen gearbeitet.