Der Room-of-Horrors ist für manchen Studierenden sicherlich der Prüfungshörsaal. An der Universität Bonn ist es ein Trainingsraum, in dem angehende Apotheker mit pharmazeutischen Horrorszenarien konfrontiert werden. In der Übung sollen Risiken für die Patientensicherheit entlarvt werden.
Im Rahmen des Pharmaziestudiums liegt der Fokus oft auf theoretischen Aspekten. Die praktischen Herausforderungen und mögliche Einnahmefehler seitens der Patientinnen und Patienten werden hingegen häufig erst im praktischen Jahr erlernt. Um einen frühen Praxisbezug für Studierende zu schaffen, bei dem sie ihr erlerntes Wissen anwenden können, wurde im Rahmen des Seminars „Klinische Pharmazie“ an der Universität Bonn unter der Leitung von Prof. Dr. Ulrich Jaehde im Sommersemester 2023 ein innovatives Format in das Pharmaziestudium eingeführt: der Room-of-Horrors.
Risiken für die Patientensicherheit spielerisch erkennen
Aber was verbirgt sich hinter diesem ungewöhnlichen Namen? Konkret handelt es sich um einen Trainingsraum, in dem potenzielle Fehler und Risiken für die Patientensicherheit versteckt sind. Von der renommierten Stiftung Patientensicherheit Schweiz wurden hierzu ausführliche Anleitungen und verschiedene Szenarien mit Patientenfällen für unterschiedliche Bereiche im Gesundheitssystem entwickelt. Auch von den Apothekerkammern Westfalen-Lippe und Nordrhein wird das Konzept bereits im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen genutzt. In Bonn hatten nun auch Studierende des achten Semesters die Gelegenheit, pharmazeutische Fehler und Risiken zu entdecken und zu bewerten. Die Veranstaltung wurde von Dr. Ronja Woltersdorf organisiert und von der Doktorandin Olga Teplytska und ihren studentischen Hilfskräften ausgearbeitet und durchgeführt.
Stoffpuppe mit Einkaufskorb
Die Studierenden trafen im Room-of-Horrors auf eine Stoffpuppe namens Hiltrud Meyer, die eine 84-jährige multimorbide Patientin darstellte. Hiltrud kam nach einem wöchentlichen Einkauf in die Apotheke, um ein Rezept einzulösen. Im Raum befanden sich außerdem der Einkauf, ihre Arzneimittel samt Medikationsplan und weitere Unterlagen wie beispielsweise Diagnoseblätter und Laborwerte. Vor dem Betreten des Raumes erhielten die Teilnehmenden eine schriftliche Einführung, in der Hiltrud sich vorstellte und ihre Leiden beschrieb, um eine realistische Situation zu simulieren. Im Trainingsraum hatten sie dann jeweils zehn Minuten Zeit, um sämtliche Materialien auf den Prüfstand zu stellen und die vielen eingebauten Fehler aufzudecken. In einem separaten Seminarraum wurden die entdeckten Mängel unter den Gruppenmitgliedern ausgetauscht und notiert.
Erschreckende pharmazeutische Fehler aufgespürt!
Insgesamt gab es fünf Gruppen à neun Studierende. Die versteckten Fehler waren vielfältig und unterschiedlich anspruchsvoll. Einige konnten schnell entdeckt werden, wie zum Beispiel ein falsch angelegtes Blutdruckmessgerät oder ein Ibuprofenpflaster auf einer offenen Wunde. Andere hingegen erforderten eine tiefgreifende Analyse der zur Verfügung gestellten Materialien. So bestand zum Beispiel die Möglichkeit, durch Neuberechnung zu erkennen, dass die angegebene glomeruläre Filtrationsrate nicht korrekt berechnet war. Doch das Hauptziel des Room-of-Horrors bestand darin, eine breite Palette von möglichen Fehlern zu präsentieren, um das umfassende pharmazeutische Wissen der Studierenden herauszufordern und die effektive Zusammenarbeit zwischen den Gruppenmitgliedern zu fördern. Der Großteil der Fehler hatte einen pharmakologischen Schwerpunkt, um die praxisbezogenen Lerninhalte des Studiums zu vertiefen. So wurde das Studium um eine Prise spannender gemacht, um die wackeren Pharmazeutinnen und Pharmazeuten auf ihre praxisbezogenen Lernreisen vorzubereiten.
Positives Feedback von den Studierenden
Die Rückmeldungen der Teilnehmenden waren äußerst positiv und die Möglichkeit, das theoretische Wissen spielerisch anzuwenden, wurde als äußerst bereichernd empfunden. Die Aufgaben konnten effektiv untereinander aufgeteilt werden und die Aussicht auf eine Belohnung für die erfolgreichste Gruppe steigerte den Eifer und sorgte für zusätzliche Motivation. „Der Room-of-Horrors ist ein abwechslungsreiches Format für die spielerische Anwendung von Wissen und wird als Alternative zu frontalem Unterricht sicher bei den Studierenden in Erinnerung bleiben“, so hieß es von einer der Teilnehmenden der Gewinnergruppe, Lisa-Marie Esch. Aufgrund des positiven Feedbacks planen die Veranstalter bereits eine Fortsetzung für das kommende Semester, um die angehenden Pharma-Profis weiterhin auf kurzweilige und effektive Weise auf ihre zukünftigen Prüfungen vorzubereiten.
„Cooles Konzept“
Dr. Ronja Woltersdorf ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bonn und verantwortlich für die Organisation des Seminars „Klinische Pharmazie“ im 8. Semester. Im Interview hat sie der DAZ erzählt, wie der Room-of-Horrors genau ablief.
DAZ: Wie viele Semesterwochenstunden umfasst das Projekt bzw. ist es in ein Modul integriert?
Woltersdorf: Das Projekt wurde als freiwilliges Zusatzangebot in unser Seminar Klinische Pharmazie integriert. Der Zeitaufwand für die Studierenden beträgt dabei pro Gruppe nur etwa 20 Minuten, bestehend aus zehn Minuten im eigentlichen Room-of-Horrors und weiteren zehn Minuten zur gemeinsamen Dokumentation der gefundenen Fehler.
DAZ: Wie haben Sie den Room-of-Horrors in den straffen Studienplan integriert?
Woltersdorf: Die Teilnahme in Kleingruppen wurde parallel zu einer längeren Übung im Seminar angeboten. Damit entstand kein zusätzlicher Zeitaufwand, die Studierenden waren vor Ort und es gab keine Wartephasen, sodass im ersten Durchlauf über 80% der Seminarteilnehmer das freiwillige Angebot wahrgenommen haben. Die Auflösung und Besprechung der Fehler erfolgte mit dem ganzen Semester ebenfalls im Seminar als Abwechslung zwischen Vorträgen der Studierenden.
DAZ: Welche Vorteile bietet das Projekt den Studierenden?
Woltersdorf: Mitgebracht wurde die Idee von der Doktorandin Olga Teplytska, die im Rahmen des Gipfels zum Critical-Incident-Reporting-System (CIRS) Nordrhein-Westfalen 2022 selbst an einem Room-of-Horrors teilgenommen hat und das Konzept unbedingt für unsere Studierenden umsetzen wollte. Diese können dadurch kurz vor dem 2. Staatsexamen das erlernte umfangreiche Wissen noch einmal in einer ganz anderen, interaktiven Form anwenden. Hier kommt es vor allem auf den Transfer des theoretischen Wissens aus verschiedenen Fächern in der praktischen Situation an. So war neben der Erkennung von arzneimittelbezogenen Problemen auch Wissen aus der Pharmakologie und der Pharmazeutischen Technologie gefragt, z. B. zur Teilbarkeit von Tabletten oder der richtigen Anwendung wirkstoffhaltiger Pflaster. Im anschließenden Feedback wurde von den Studierenden genau diese praktische Anwendung und die Überprüfung des eigenen Wissens aus unterschiedlichen Bereichen sehr positiv hervorgehoben. Die Fallbearbeitung im Team und unter Zeitdruck wurden als interessante Erfahrung und das Projekt insgesamt als „cooles Konzept“ beschrieben.
DAZ: Woher kamen die Patientenfälle, die im Rahmen des Projekts von den Studierenden analysiert wurden?
Woltersdorf: Als Grundgerüst wurden veröffentlichte Fälle, wie die POP-Fälle aus der DAZ oder Fälle aus dem Archiv der Klinischen Pharmazie an der Uni Bonn verwendet. Diese wurden dann mit sehr viel Einsatz und Liebe zum Detail von Olga Teplytska, Cora Buch und Safiye Rafehi erweitert und ausgearbeitet und mit dem Team der Klinischen Pharmazie diskutiert. Ein erster Testlauf fand dann mit Doktoranden aus anderen Arbeitsgruppen des Pharmazeutischen Instituts statt.
DAZ: Nächstes Semester soll es den Room-of-Horrors wieder geben. Was wollen Sie dieses Mal anders machen und was hat sich bewährt?
Woltersdorf: Nach der ersten Erfahrung und auch der Rückmeldung der Studierenden werden wir tatsächlich erst mal wenig ändern. Die Zeit für die Bearbeitung wurde von den meisten Studierenden als angemessen beurteilt bzw. der Zeitdruck sogar eher als positive Herausforderung beschrieben. Trotz der kurzen Zeit haben die Studierenden auch viel mehr eingebaute Fehler gefunden, als ich anfangs erwartet hätte. Trotzdem konnten wir noch differenzieren und ein Siegerteam küren. Was von den Studierenden nicht genutzt wurde, war die zusätzliche Erstellung eines Fehlerberichts in Form einer CIRS-Meldung. Dies würden wir gerne noch stärker integrieren.